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Notizen | Andeutungen, Mehrdeutungen, Offenheit | Dem Zufall Raum geben

Notizen

Helmut Szlezak

Die Sehnsucht nach dem Abbild scheint unausrottbar zu sein. Ist es Zweifel an der eigenen Existenz?
Immer wieder fragen mich Leute: „Und was soll das darstellen?“
Meist antworte ich: „Eine Malerei“.
So gesehen ist jedes Bild ein Abbild seiner selbst.


Mich interessiert, was jenseits vordergründiger Absicht erscheint. Malerei ist für mich ein Aufdecken, ein Sichtbarmachen dessen, was eigentlich schon da ist, aber vorläufig noch nicht wahrgenommen wird.


Früher wandte ich eine recht brauchbare Methode an: Ich abstrahierte, malte gegen das gegenständliche Abbild so lange an, bis es zu dem realen Gegenstand wurde, der es war, – eine mit Farben bedeckte Leinwand. Die alte Ölmalerei, traditionell ein probates Mittel ein illusionistisches Abbild zu schaffen, entpuppte sich als Grammatik einer Sprache des Unsagbaren.
Sie mag in der Form vermittelnde Instanz sein zwischen jenen, die die Sprache des Unsagbaren verstehen, und mir.  


Neue Herangehensweisen sind hilfreich und treiben voran. Doch mit der Zeit erstarren sie zu Schemata. Es baut sich fast unmerklich eine Wand auf.
Es ist wie bei Bewegungen, die zu Institutionen werden. Die Anfangsenergie geht verloren.


Es ist ein Findenwollen, das mich antreibt.
Dabei weiß ich gar nicht, was das zu Suchende ist. Ich versuche, offen zu sein für das, was erscheint. Ziellos schweife ich umher.


Ich greife auf, ich decke auf, wäge ab, verwerfe, lasse mich auf das Spiel meiner Gefühle ein.
Ich scheitere, suche verzweifelt nach Auswegen, Lösungen.
Ich lasse mich auf das Spiel mit dem Zufall ein.
Ich treibe den Bildwerdungsprozess so lange voran, bis sich für mich ein Bedeutendes herausschält.
Bedeutendes meint zweierlei: Einerseits das auf den Weg Hinweisende aber auch das, was wichtig und wertvoll ist.


Eingedenk der Tatsache, dass alles Existierende vergänglich ist, ist es natürlich anmaßend, Bleibendes schaffen zu wollen.
Damit will ich sagen: Mit dem Malen allein ist es noch nicht getan. Was zählt ist: Wie wird das Gemalte gesehen, was bewirkt es? Wie lange behält es seine Kraft? Sind die aus meiner Obhut entlassenen Kinder (denn das sind meine Bilder auch) auch fähig, sich weiterzugeben?


Das Offene, das in Schwebe Befindliche, das Mehrdeutige, das ist es, was mich interessiert. Wenn sich Fragen stellen, ist das ja viel interessanter, spannender und bewegender als eine Antwort oder Erklärung.


Das Werk, das ich dem Betrachter bieten will, ist fertig, und es ist es auch nicht. Es sollte so etwas wie eine vornehm zurückhaltende Einladung sein. Und ich will mich gar nicht festlegen, wann, wer, wohin eingeladen wird.   
Im Übrigen wünsche ich, dass meine Arbeiten wie Projektionsflächen sind, in denen der Betrachter seine jeweiligen Befindlichkeiten reflektieren kann.


ANDEUTUNGEN, MEHRDEUTIGKEITEN, OFFENHEIT

Helmut Szlezak

Meine Malerei ist offen, indem sie sich hinsichtlich der künstlerischen Problemstellung jeglicher inhaltlicher Absicht entzieht. Die formalen Strukturen eines Bildes sollen dem Rezipienten das aktive Rekapitulieren des Gesehenen ermöglichen.

Ausgangspunkt meiner Malerei sind meine persönlichen Erfahrungen, Ideen, Emotionen und Handlungsdispositionen, die im Zuge des künstlerischen Arbeitsprozesses zu einem organischen Ganzen, der „FORM“ verschmolzen werden. Die „FORM“ ist einerseits das Ziel meiner Produktion, sie ist andererseits der Ausgangspunkt einer Konsumtion durch den Betrachter.

Es geht in meiner Arbeit nicht um die Deutung im Sinne einer Erklärung oder Antwort auf eine Frage, sondern ganz im Gegenteil: Die Frage selbst ist das Bedeutende, das auf einen Weg Hinweisende. Insofern sind meine Bilder wie Landkarten oder Reiseführer zu gebrauchen. Wer gar nicht die Absicht hat, sich auf eine Reise zu begeben oder besser gesagt nicht spürt, dass er sich auf einer Reise befindet, dem bleibt die Bedeutung (im doppelten Sinn des Wortes) verschlossen. Indem ich mit Andeutungen und Doppeldeutigkeiten arbeite, vermeide ich Festlegungen, Grenzziehungen und Stillstand. Gleichzeitig möchte ich aber festhalten, dass auch diese ihre Bedeutung als Teil des Ganzen haben. Ich lehne sie daher nicht grundsätzlich ab. Also: Grenzen sind notwendig. Was sonst sollte man überschreiten?

ÜBER DEN BETRACHTER

Die jeweilige Sensibilität, Erfahrung, Bildung, Neigung, persönliche Vorurteile usw. des Betrachters bedingen die Art des Zugangs, die Interpretation und Realisation des komplexen, formalen Gewebes. Das ist die eine Seite, die bedacht werden will. Die andere ist die, dass ich den Betrachter bewegen will, physisch wie psychisch. Die Bilder laden ein, als Ganzes betrachtet zu werden. Gleichzeitig mögen sie dazu verführen, sich in einem Detail zu verlieren bzw. zu finden. Mehr noch, es gilt, die Spannung zwischen dem Detail und dem Ganzen zu erspüren. Wer sich darauf einlässt, dessen Blick wird sich bewegen, dessen Blickwinkel verändert sich, dessen Wahrnehmung wird ursprüngliche Horizonte möglicherweise überschreiten. Verschiedenste Aspekte werden sichtbar. Das, was auf den ersten Blick zu erwarten war, erscheint auf dem zweiten als etwas anderes. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass das Werk „lebt“. Man kann es nicht ganz einfach „betrachten, beurteilen und abhaken“.

Ich will den Betrachter einladen, immer wieder neue Blickwinkel einzunehmen. Im Idealfall kann er (der Sehende) sich selbst neu erfinden.

(2005)


Dem Zufall Raum geben

Hartwig Knack

Prozesse der Motivfindung gestalten sich bei Helmut Szlezak grundsätzlich immer nach demselben Prinzip: „Absichtslos“, so beschreibt der Künstler im Gespräch, fange er an Acrylfarben auf die grundierte Leinwand aufzutragen. Im Laufe des Fortgangs entwickeln sich durch mehrere Schichten abstrakte Strukturen, Farbzusammenhänge oder gegenständliche Motive. Sobald sie Szlezak interessant oder bedeutsam erscheinen, werden sie als erstes Ergebnis belassen. Nach der Trocknungsphase überarbeitet der Künstler das Bild mit Ölfarben, die er anschließend in nassem Zustand mit einer Gummispachtel partiell wieder abnimmt, um sie in veränderter Form erneut aufzutragen. Dieser Vorgang kann sich mehrfach wiederholen, bis in einer Art geplantem Zufall ein zufriedenstellendes Ergebnis in farbiger Verdichtung oder Reduktion, Tiefenräumlichkeit, Flächigkeit oder Transparenz vorliegt. Durch die Spachteltechnik bleiben oftmals grafische Linien stehen, die kontur- und schattenhaft das Spiel mit Vorder- und Hintergrund unterstützen. Zuweilen arbeitet der Künstler in einem letzten Schritt mit unterschiedlichen deckenden Farben Gefüge und Formationen heraus, die Figürliches, Kristallines oder Vegetabiles entstehen lassen. In diesem Zusammenhang ist Szlezak wichtig, die Motive möglichst facettenreich, flüchtig und inhaltlich offen zu halten, damit sich die BetrachterInnen in ihrer persönlichen Wahrnehmung und Deutung nicht eingeengt fühlen. Alle sollen die Möglichkeit bekommen, eigene Ideen zu formulieren und darüber gedanklich ins Bild einzusteigen.

Bildtitel vergibt der Künstler nur in Ausnahmefällen, vermutlich, um nichts Inhaltliches vorzugeben und zu verhindern, die Gemälde ihres tiefen Gehaltes zu entkleiden. Generell lässt Szlezaks Art zu malen immer wieder historische Bezüge erkennen. Nicht nur dann, wenn er ganz konkret das seit dem Mittelalter gebräuchliche Motiv der Pietà aufgreift oder das Struktur – Gestalt – Gefüge einer klassischen Dreiecksfigur in einem Gemälde von Tizian untersucht, greift der Künstler auf Errungenschaften früherer Generationen zurück. Als visuelles Bildvokabular im kollektiven Gedächtnis verankert und als legitimes Ideenreservoir jederzeit zur Verfügung stehend nutzt Szlezak Versatzstücke aus Kubismus, Futurismus, Expressionismus und Surrealismus zur Entwicklung seiner einzigartigen Bildwelten, in denen kubische Dekonstruktion, Rhythmus und Bewegung, der persönliche Pinselstrich und surreale Szenen eine Einheit bilden.

Hartwig Knack ist Kunsthistoriker und Kulturwissenschafter

(2019)